Mission (Im)possible - Ein passionierter Ausbildungsleiter auf Nachwuchssuche
Karin Hardtke berichtet in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "GIESSEREI" über unseren passionierten Ausbildungsleiter.
Die Einführungsveranstaltung ist beendet, die Führung über das Gießereigelände absolviert und das Gruppenfoto im Kasten – Ausbildungsleiter Ronny Keppler kann durchatmen. Der erste Arbeitstag für die 16 neuen Auszubildenden ist erfolgreich geschafft. In insgesamt acht Ausbildungsberufen und zwei dualen Studienrichtungen bildet die Silbitz Group GmbH aus, dazu zählt auch die Ausbildung zum Gießereimechaniker und technischen Modellbauer.
Vier junge Männer hat Keppler in den vergangenen Monaten für eine Ausbildung zum Gießereimechaniker gewinnen können – dies ist eine gute und eine schlechte Nachricht zugleich. „Leider konnten wir auch in diesem Jahr nicht alle Ausbildungsplätze besetzen – insbesondere bei den Gießereimechanikern fehlt uns der Nachwuchs“, erläutert Ronny Keppler. Eine Entwicklung, die der 46-jährige mit Sorge betrachtet, umso mehr, als das Unternehmen mit dem demografischen Wandel zu kämpfen hat und ausschließlich für den eigenen Bedarf ausbildet. Keppler ist seit gut 10 Jahren für die Betreuung der Auszubildenden im Unternehmen verantwortlich. Bei ihm laufen sämtliche „Ausbildungsfäden“ zusammen: Ob es um die laufende Nachwuchsgewinnung, den regelmäßigen Kontakt zu den Berufsschulen, die Umlaufplanung für die Auszubildenden, Urlaubsplanung oder die Verkürzung der Ausbildung geht – zu organisieren, zu planen und abzuklären gibt es bei insgesamt gut 50 Auszubildenden immer etwas, zumal die ja auch noch über mehrere Ausbildungsjahre und das gesamte Betriebsgelände verstreut seien, scherzt Keppler.
Die Silbitz Group GmbH ist ein Firmenverbund von drei Gießereien und einem mechanischen Bearbeitungsunternehmen. Die Silbitz Guss GmbH mit rund 540 Mitarbeitern ist der Hauptsitz der Unternehmensgruppe. Dort ist auch die Ausbildung konzentriert. Die mechanische Bearbeitung konzentriert sich am Standort in Staßfurt. Die weiteren Gießereien befinden sich im nahegelegenen Zeitz und im slowakischen Košice, wo noch einmal insgesamt fast 600 Mitarbeiter beschäftigt sind. Silbitz fertigt Gussteile in Stahl- und Eisenguss mit einem Gewichtsspektrum von 10 Kilogramm bis 45 Tonnen. Die Kunden kommen aus den verschiedensten Branchen – Automobilindustrie, Maschinenbau, Windkraftproduzenten oder die Bahnindustrie sind darunter. Das Produktspektrum ist breit gefächert und reicht von Achsen, Getriebegehäusen, Motorblöcken bis hin zu Rotornaben für Windräder.
Vom Gießereiskeptiker zum Gießereibegeisterten
Dass er einmal Ausbildungsleiter in einer Gießerei und dann auch noch bei der Silbitz Group werden würde, das gehörte zunächst nicht zu Ronny Kepplers Berufsplanung. Keppler stammt aus dem benachbarten Ort Crossen, ist dort zur Schule gegangen. Sein Vater war zwar auch bei Silbitz beschäftigt, aber als der damals 15-jährige DDR-Schüler im Rahmen der „Praktischen Arbeit“ eine Zeit lang in der Gießerei arbeiten musste, war er zunächst wenig angetan: „Ich kam aus einem hellen sauberen Klassenzimmer und stand plötzlich in diesen großen, dunklen und dreckigen Hallen“, erinnert sich Keppler, lacht und streicht sich lässig eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Eine Erfahrung, die ihm heute sicherlich dabei hilft, die Sichtweise vieler Schulabgänger besser zu verstehen und sie trotzdem für eine Arbeit in der Gießerei zu bewegen. Keppler jedenfalls entschied sich, doch besser „etwas mit Holz zu machen“ und absolvierte eine Ausbildung zum Tischler. Nach der Wende ergriff er die Chance, bei einem Bildungsträger die überbetriebliche Ausbildung für den Bereich Holz zu übernehmen und dort zu unterrichten. Später kamen die Ausbildung in den Fachbereichen Metallverarbeitung und Metallbau hinzu. Eine Aufgabe, die ihm Spaß macht: „Jungen Menschen zu helfen, insbesondere auch lernschwachen Schülern, sie zu unterstützen und mitzuerleben, wie sie sich weiterentwickeln, das war für mich immer äußerst befriedigend“, erklärt Keppler seine Motivation. 13 Jahre blieb Keppler dort.
Als die Silbitz Group jedoch 2008 einen Mitarbeiter suchte, der sich vollumfänglich um das Thema Ausbildung im Unternehmen kümmert, wechselte er. Die Aussicht, zukünftig „das große Ganze“, wie er es nennt, mitzugestalten, reizte ihn an seiner neuen Aufgabe. Langweilig werde seine Arbeit nie, die Herausforderungen würden eher mehr als weniger, so Keppler. Demografischer Wandel, sinkendes schulisches Niveau der Schulabgänger und manchmal auch deren Mangel an sozialer Kompetenz seien Herausforderung genug. Die Bewerberzahlen – insbesondere für eine Ausbildung zum Gießereimechaniker – sind seit Jahren tendenziell rückläufig. Eine Entwicklung, mit der nicht nur Silbitz Guss zu kämpfen habe, sagt Keppler. Mittlerweile fängt die Nachwuchssuche bereits im Kindergarten an. Einmal im Jahr besucht die Vorschulgruppe des Kindergartens im benachbarten Hartmannsdorf die Gießerei. Keppler begleitet die Dreikäsehochs durch die Gießerei und manch einer sei schlichtweg begeistert zu sehen, wo die Mama denn nun arbeitet oder der Opa gearbeitet hat, erklärt Keppler und grinst. Seien es Lesepatenschaften an Grundschulen oder Lesewettbewerbe, bei denen Silbitz-Mitarbeiter in der Jury sitzen: Keppler will so früh wie möglich Interesse für das Unternehmen wecken.
Da kann es dann auch schon einmal vorkommen, dass der Vollblut-Ausbilder in seiner Freizeit einige Ausbildungsflyer hier und dort in Geschäften auslegt. Regelmäßig ist Ronny Keppler in weiterführenden Schulen unterwegs, führt dort Bewerbertrainings durch und nimmt an Berufsinformationstagen teil. Einen Fuß in die Schulen zu bekommen, das sei nicht immer einfach. Keppler hat Verständnis für die Schulleiter: „Viele Firmen wollen in der Schule aktiv werden. Manchmal wird es den Schulleitern einfach zu viel.“ Aber er könne da schon hartnäckig und ausdauernd sein, so komme er dann oftmals doch ans Ziel. Die Arbeit auf regionalen Jobmessen – auch am Wochenende – teilt sich Keppler mit Personalchef Christian Blödner. Dies sei häufig ein großer Aufwand bei oftmals geringer Ausbeute – da freut sich Keppler umso mehr, wenn bereits vier Stunden nach einem Gespräch am Infostand eine Anfrage für einen Praktikumsplatz im E-Mail-Postfach eingeht. „Das sind dann kleine Erfolgserlebnisse, die motivieren.“
Motivierend ist für Ausbilder Keppler und Personaler Blödner allerdings auch, dass der neue zeitgemäße Internetauftritt und der frisch gedrehte Imagefilm auch bei potenziellen Bewerbern gut ankommen. Für das neue Design und ihr Markenkonzept wurde das Unternehmen mit dem German Brand Award 2018 ausgezeichnet.
Nachhilfelehrer, Ausbilder und Sozialpädagoge in einer Person
Auf einen Einstellungstest verzichtet man bei Silbitz mittlerweile. Wichtiger sind Keppler und Personalleiter Blödner zunächst die Bewerbungsunterlagen, aus denen der erfahrene Ausbilder bereits im Vorfeld so einiges herauslesen kann. Die schriftlichen Beurteilungen der Schüler in den Zeugnissen sowie die Praktikumsbeurteilungen beispielsweise ließen doch so manche Rückschlüsse in Sachen Ausbildungsfähigkeit zu, so Keppler. Und manche Jugendliche seien mittlerweile einfach nicht mehr ausbildungsfähig. Auch der Blick auf die Schulnoten lässt den sonst so gelassenen Ausbildungsleiter ab und an verzweifeln. „Die von der Schule bescheinigten Leistungen reichen manchmal nicht aus, um eine Ausbildung erfolgreich zu beenden. Das Leistungsbild der Schüler hat sich gewandelt und wir müssen heute eine erhebliche Mehrarbeit leisten, um einzelne durch die Prüfung zu bekommen.“
Keppler weiß allerdings aus Erfahrung, dass von den frisch gestarteten Azubis höchstwahrscheinlich nicht alle durchkommen werden. Personaler Blödner und Ausbildungsleiter Keppler denken daher schon weiter: Geplant ist eine zweijährige Ausbildung zur Fachkraft Metalltechnik für Schüler mit Lernhemmnissen. Am anderen Ende der Skala will man in Zukunft verstärkt um Studienabbrecher werben sowie den Ausbildungsberuf des Produktionstechnologen im Unternehmen etablieren. Wer nach Durchsicht der Bewerbungsunterlagen in die engere Wahl kommt, wird zum halbstündigen Vorstellungsgespräch eingeladen. Keppler entscheidet nicht nur nach Noten, sondern vertraut auch seinem Bauchgefühl, auf das er sich durch die jahrzehntelange Arbeit mit Jugendlichen recht gut verlassen kann. Und so bekommen mittlerweile auch Lernschwache und Bewerber ohne Schulabschluss immer häufiger eine Chance. „Wir beschreiten diesen Weg, weil wir dringend Mitarbeiter brauchen, aber auch, weil wir bisher gute Erfahrungen mit diesen Bewerbern gemacht haben.“ Keppler erinnert sich an den Hauptschulabsolventen einer Förderschule, der jegliche Unterstützung dankbar angenommen, seine Prüfung geschafft und schließlich unbefristet übernommen worden sei. „Diese positiven Erlebnisse bleiben haften und motivieren mich, es immer wieder erneut zu versuchen“, erklärt Keppler.
In diesem Ausbildungsjahr betritt Keppler komplettes Neuland: Ein Jugendlicher ganz ohne Schulabschluss hat eine Ausbildung zum Gießereimechaniker begonnen. Die negativen Erfahrungen mit Auszubildenden, die es natürlich auch gibt, versucht Keppler auszublenden. „Wenn jemand bereits kurz nach Ausbildungsbeginn mehr Fehl- als Arbeitstage aufweist, müssen wir irgendwann die Reißleine ziehen.“ Aber auch nach zehn Jahren reizt Keppler das „Gesamtpaket“, wie er es nennt: Junge Menschen für eine Ausbildung bei Silbitz zu begeistern, sie dreieinhalb Jahre mit allen Höhen und Tiefen zu begleiten, um sie schließlich ins Berufsleben zu entlassen, das sei immer wieder spannend und ein höchst individueller Prozess.
IHK-Auszeichnung „TOP-Ausbildungsbetrieb“
Seinen Umgang mit den jungen Auszubildenden nennt Keppler leicht ironisch „autoritär-demokratisch“. Einerseits versucht der erfahrene Ausbildungsleiter, behutsam an die Jugendlichen heranzutreten, ihre Probleme zu verstehen. Seine Tür steht immer offen und der eine oder andere Azubi nutzt diese Möglichkeit. Aber: „Man muss auch eine klare Linie fahren und eindeutige Grenzen ziehen“, sagt Keppler und raunt Pascal Geißler im Vorbeigehen ein freundliches, aber deutliches „Hände aus den Taschen“ zu. Der 17-jährige angehende Gießereimechaniker im 1. Lehrjahr absolvierte zunächst ein Praktikum bei Silbitz Guss – erst als Elektriker, anschließend als Gießereimechaniker. Sein Fazit nach einigen Monaten Grundausbildung fällt kurz, aber eindeutig aus: „Der Kontakt zu Herrn Keppler ist gut, der Kontakt zu den anderen Azubis ist gut und die Ausbildungsvergütung ist es auch.“
Dass es nach der Grundausbildung hinunter in die Gießerei geht, darauf freut sich Geißler schon. Und sollte er seine Prüfung bestehen, stehen seine Chancen gut, unbefristet übernommen zu werden. Dies ist nicht der einzige Pluspunkt, wie Keppler betont. Denn das Unternehmen bietet verschiedene Möglichkeiten der Weiterbildung an, bis hin zur finanziellen Unterstützung bei der Meisterausbildung. „Mehrere Hunderttausend Euro investieren wir jährlich in die Weiterbildung unserer Mitarbeiter“, sagt Personalverantwortlicher Blödner. Dass es dem Unternehmen überaus gut gelingt, mit dem Berufsnachwuchs zu arbeiten, das hat Ronny Keppler inzwischen auch schriftlich: Die Silbitz Group wurde von der IHK Halle-Dessau mit dem Titel „Top Ausbildungsbetrieb 2016“ ausgezeichnet. „Es zeigt, dass wir mit unserer Ausbildung einen guten Weg gehen“. Und das sei auch deshalb von Bedeutung, weil zum Beispiel der Gießereimechaniker nicht unbedingt ein Beruf ist, um den sich junge Menschen reißen.
Ab und an nehme er seine Arbeit auch mit nach Hause – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne, erzählt Keppler. Abschalten kann der Mittvierziger am besten bei der Tätigkeit, die er vor über dreißig Jahren gelernt hat: dem Tischlern. Zu Hause gebe es immer etwas zu tun, sagt er, der verheiratet ist und zwei Töchter hat. Die ältere hat mittlerweile ihr Studium der Erziehungswissenschaften abgeschlossen, die jüngere ist elf Jahre alt. „Ob ich sie für eine Ausbildung bei uns begeistern kann, das wird sich zeigen“, scherzt Keppler. Und fügt an: „Mitzuerleben, wie sich Auszubildende positiv entwickeln und unsere Arbeit Früchte trägt, das gibt mir immer wieder Kraft. Wenn ich aus den Abteilungen die Rückmeldung erhalte „der Azubi ist ein guter Mann, den kannst du mir wiederbringen“, dann ist das für mich sehr befriedigend. Ansonsten könnte ich mein Geld ja auch einfacher verdienen.“ Keppler ist gespannt, wie viele junge Leute er im nächsten Jahr für eine Ausbildung gewinnen wird – auch und insbesondere zum Gießereimechaniker. An ihm wird es jedenfalls nicht liegen.
Fotos © Mario Jahn